OLGA ZINOVIEV: DIE NEUE UTOPIE — IDEOLOGIE DER PARTEI DER ZUKUNFT

Olga Zinoviev, Witwe und Hüterin des intellektuellen Erbes von A.A. Zinoviev, Comes Rectoris Universitatis, Universität Augsburg IV internationale Konferenz “Alexander Zinoviev — Ideen und Gegenwart”, Kostroma, Russland, den 29 Oktober 2012

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Die Neue Utopie — Ideologie der Partei der Zukunft

Ich möchte heute die Botschaft Alexander Zinoviev (Sinowjew), die er an den Menschen der Zukunft richtet, kundtun. Zinoviev, einer der bedeutendsten russischen Ideologen des 20./21. Jahrhunderts, hatte in den letzten Jahren seines Lebens an einer Ideologie der Partei der Zukunft gearbeitet. 

Als Vermächtnis hinterlässt er eine Aussage, deren tiefen Sinn man nur dann völlig erfassen kann, wenn man sich das intellektuelle und schöpferische Erbe dieses außergewöhnlichen Mannes, der auf unserem Planeten lebte, einverleibt: 

 „Wir brauchen einen Traum, eine Hoffnung, eine Utopie. Utopie – das ist eine große Offenbarung. Der Mensch wird nicht als solcher überleben können, wenn er nicht eine neue, auf den ersten Blick vielleicht unnütze Utopie erschafft. Wir brauchen ein Märchen, denn ist es den Menschen von Bedeutung, welche Hoffnungen sie hegen und an welche Märchen sie glauben“. 

Heute benötigen wir, benötigt die Menschheit, eine neue Utopie. Seit mehr als 20 Jahren leben wir in einer Anti-Utopie, in einem Realität gewordenen Albtraum, einem Zerrspiegel. Die Wirklichkeit schrumpft vor unseren Augen zusammen. Darum brauchen wir dringend eine neue Utopie. 

Lebendige Symbole sind stärker als tote. Eine lebendige Ideologie ist wichtiger als erstarrte Theorien. Eine lebendige Gesellschaft ist glücklicher als ein degradierender sozialer Organismus. 

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Eines Morgens im Jahre 1999, einige Monate vor unserer Rückkehr nach Russland, erzählte mir Alexander mit strahlendem Antlitz einen ungewöhnlichen Traum, aus dem er gerade erwacht war. Der Traum war so positiv, der Tonfall und der allgemeine Optimismus waren für Alexander derart ungewöhnlich, dass man hätte meinen können, es spräche jemand anderes. 

Es war ihm im Traum die Welt der Zukunft zu Beginn des 22.Jahrhunderts erschienen. Er fand sich in einer dicht bevölkerten fremden Welt wieder, in der Wohlstand und Prosperität herrschten, und in der glückliche Menschen lebten. Die Gemüter waren von einem allgegenwärtigen und unvergehenden Glücksgefühl beherrscht, Freude und Enthusiasmus leuchteten aus jedem Lächeln. Alexander erkannte bald den Grund dieses Hochgefühls: Luft und Wasser gab es für alle gratis, alle Menschen durften sich kostenlos bewegen, alle ohne Ausnahmen konnten frei denken und sprechen.

All’ dies war das Ergebnis eines Neuen Gesellschaftsvertrags, den ein Einzelner, der romantische Idealist Swetly Bright, erarbeitet hatte. 

Alexander erfuhr, dass die Welt einen Atomkrieg überstanden, und dass das Leben sich nur auf dem größten der Kontinente erhalten hatte, der sich nachfolgend zu einem einzigen Staat vereinigte. Dieser verheerendste Krieg der Menschheitsgeschichte war das dramatische, logische Ende der Ära des räuberischen Kapitalismus in seinem Extremzustand des absoluten Bösen. Der heuchlerische und sterile Korporations-Faschismus hatte alles monetarisiert, was möglich war: nunmehr war jede soziale Handlung des Individuums kostenpflichtig, waren alle natürlichen Ressourcen, alle materiellen und geistigen Werte, alles Wissen und Information nur gegen Entgelt zugänglich. Wasser, Luft und Erde gehörten nicht mehr dem Menschen. 

Das Ende des 21. Jahrhunderts kannte weder Hoffnung noch Reiz, weder Illusion noch Erleuchtung, weder Verführung noch Liebe, weder Freude noch Glück… Es gab eine einzige Wahrheit, aber niemand glaubte an sie, denn wer auch immer die Wahrheit sprach, verfügte über keinerlei Einfluss. Durch die Abschaffung ihrer autoritären Quelle war der Wahrheit der Todesstoss versetzt worden. Vergessen waren Gerechtigkeit, Ehre und Kreativität. 

Der romantische Idealist Swetly Bright wurde zu einer Zeit geboren, als die Menschheit bereits endgültig durch innovative Technologien und raffinierte Erfindungen versklavt war. Letztere ließen nicht die Existenz eines reinen Verstandes zu, der aber immerhin das denkwürdigste Resultat von Geschichte und Evolution war. Swetly Bright kam zur Welt, als man anfing sich die Frage zu Stellen, ob die Natur tatsächlich Millionen Jahre auf die Schöpfung eines so unnützen Wesens wie des Menschen verschwendet haben konnte. 

Der Atomkrieg veränderte Swetly Brights Leben grundlegend. Als Onkologe rettete er rastlos Hunderte und Tausende von Strahlenopfern und Verletzten, ja er erfand eine einzigartige Methode zur kostenlosen Heilung von großen Menschenmassen und brachte sogar hoffnungslos Kranke wieder zurück ins Leben.

Eines Tages begriff Swetly Bright, dass das Leben nicht nur einzelner Menschen, sondern das Überleben des gesamten Planeten allein von ihm abhing. Er schlug vor, einen Neuen Gesellschaftsvertrag zu schließen. Die Menschen glaubten an ihn und akzeptierten diese einzige Bedingung ihres Überlebens. So kam es, dass der romantische Idealist Swetly Bright fortan den idealen Neuen Menschen verkörperte. 

Nun trat jeder bei Volljährigkeit dem Vertrag bei, legte den Eid des Bürgers ab und schwor, die Welt besser zu machen. 

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Heute, an diesem besonderen Tag, habe ich mich entschlossen, diese Erzählung publik zu machen. Ebenso wie mein Lehrer Alexander Zinoviev (Sinowjew) wünsche ich mir, dass mein Russland seinen Platz in der Geschichte beibehält und dass mein russisches Volk sich nicht restlos auflöst. Wir leben in einer Zeit, in der die Summe all’ dessen, was unser Volk zur Weltgeschichte und zur menschlichen Zivilisation beigesteuert hat, berechnet wird. 

Heute möchte ich Alexanders Wunsch erfüllen und den Beginn einer Neuen Utopie legen, der Ideologie der Zukunft. Ein Land, eine Welt ohne Ideologie ist dem Untergang geweiht, wir aber wollen das Menschliche im Menschen erhalten. Ich sage “ja” zur Neuen Utopie und zur Neuen Ideologie. So soll diese Neue Utopie das Fundament der Wiedergeburt des Menschen und der menschlichen Zivilisation werden, so soll sie die Weg zur Entstehung eines neuen sozialen Ideals ebnen und den Kampf um eine alternative Geschichte begründen! 

Als Ideologie der Welt der Zukunft eignet sich weder Kapitalismus noch Kommunismus, noch ein verlogener Liberalismus. Es soll eine neue Ideologie des menschlichen Zusammenseins sein, die auf dem kommunalen Verständnis und der Verteidigung schlichter und verständlicher  Grundbegriffe basiert: Mensch, Leben, Liebe, Glück, Freiheit, Wahrheit, Gleichberechtigung, Gerechtigkeit, Ehre, Moral, Arbeit, Schöpfung, Natur, Wasser, Luft, Erde. 

Die ethische Maxime der Zukunft heißt: Den Planeten Erde bewahren. Alle Bürger der Welt der Zukunft sind Mitglieder der Erd-Union. 

Lang lebe die neue Renaissance!

Lang leben die neuen Pilger des XXI Jahrhunderts!

Ich grüße euch, auch wenn ihr noch nicht geboren seid!

 

Olga Zinoviev,

Witwe und Hüterin des intellektuellen Erbes von A.A. Zinoviev,
Comes Rectoris Universitatis, Universität Augsburg

 

IV internationale Konferenz “Alexander Zinoviev — Ideen und Gegenwart”,
Kostroma, Russland, den 29 Oktober 2012 

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ENGLISH: Olga Zinoviev: The New Utopia – The Ideology of the Future

 

DEUTSCH: Olga Zinoviev: Die Neue Utopie — Ideologie der Partei der Zukunft 

 

FRANÇAIS: Olga Zinoviev: La Nouvelle Utopie – L’idéologie du monde de demain

 

РУССКИЙ:  Ольга Зиновьева: Новая утопия – идеология мира будущего