Passauer Neue Presse, Dienstag, 2. Mai 2017. BAYERN
„Russland liebt Bayern“
Michail Logwinow und Olga Zinioviev sprechen uber das bayerisch-russische Verhaltnis
München. Vor 30 Jahren flog Franz Josef Strauß eigenhändig mit dem Flieger nach Moskau, um den russischen Präsidenten Michail Gorbatschow zu treffen – eine legendäre Reise. Vor 20 Jahren startete der damalige bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu regelmäßige Konsultationen mit Russland – der Beginn hervorragender Kontakte. Zwischenzeitlich hat Ministerpräsident Horst Seehofer zwei Mal den russischen Präsidenten Wladimir Putin besucht.
Heute wird Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Putin reisen – in Zeiten, in denen sich wegen Ukraine-Krise, Krim-Annektion und Syrien-Krieg das Verhältnis deutlich abgekühlt hat. Die PNP sprach mit dem früheren russischen Generalkonsul Michail Logwinow (der selbst in Moskau Janker und den bayerischen Verdienstorden trägt) und Olga Zinoviev, Präsidentin der Russland-Deutschland-Gesellschaft, die mit ihrem Mann – dem russischen Literaten und Dissidenten Alexander A. Zinoviev – 21 Jahre in München lebte, über das bayerisch-russische Verhältnis.
„Im Moment gibt es Dinge, die zwischen uns stehen“
– Wie wurden Sie aus russischer Sicht das heutige Verhältnis zwischen Deutschland und Bayern auf der einen und Russland auf der anderen Seite beschreiben?
Olga Zinoviev: Das sind zwei verschiedene Verhältnisse: das zwischen Deutschland und Russland und das zwischen Bayern und Russland. Traditionell haben Russland und Deutschland ein gutes Verhältnis, aber im Moment gibt es Dinge, die zwischen uns stehen. Das Verhältnis zwischen Russland und Bayern allerdings ist besser.
Michail Logwinow: Nicht zuletzt, weil Ministerpräsident Horst Seehofer im vergangenen Jahr und in diesem Jahr Russland besucht und Präsident Wladimir Putin getroffen hat. Sie müssen die jüngere Vergangenheit betrachten: Es ist jetzt genau 30 Jahre her, seit Ministerpräsident Franz Josef Strauß seine legendäre Reise nach Moskau gemacht hat, bei der er den Flieger selbst geflogen hat, um Michael Gorbatschow zu treffen. In der Folge ging der Kalte Krieg zu Ende, die Sowjetunion brach zusammen, Russland ging durch eine Krise, suchte nach seiner Zukunft. Gerade in dieser Zeit der 1990er Jahre konnte Russland auf Bayern bauen, es haben sich unglaubliche Freundschaften zum beiderseitigen Wohl entwickelt. Denn vor genau 20 Jahren begann ein neues Kapitel: Bayerns Wirtschaftsminister Otto Wiesheu war von da an jedes Jahr mit einer Wirtschaftsdelegation bei uns in Russland, Bayern hat in Moskau eine eigene Repräsentanz aufgebaut. Hohe russische Politiker haben im Gegenzug Bayern besucht. Und es gab sogar ein Oktoberfest in Moskau – ich erinnere mich noch, als Juri Michailowitsch Luschkow, damals Oberbürgermeister von Moskau, in bayerischen Lederhosen, auf dem Moskauer Bierfest, dem kleinen Bruder des Münchner Oktoberfests, ein Fass Bier angezapft hat. Könnten Sie sich vorstellen, dass ein deutscher Politiker etwas Ähnliches in russischer Tracht machen würde? Russland liebt Deutschland, und mehr noch Bayern. Der Höhepunkt war der Besuch von Putin in München 2006. Ministerpräsident Edmund Stoiber hat ihn damals in die bayerische Lebensart eingeführt. Das waren goldene Zeiten unserer Beziehungen, mit einem hohen Maß an menschlicher Wärme. Ich übertreibe nicht: Damals gab es eine Seelenverwandtschaft zwischen Bayern und Russen. Seither hat sich aber zu viel entwickelt, das uns wieder auseinandertreibt. Wir sollten nicht warten, bis das Fundament, das wir einst miteinander geschaffen haben, irgendwann zerbrochen ist, sondern wir sollten weiter darauf aufbauen.
„Bevormundungen und Kritik richten großen Schaden an“
Zinoviev: Politik wird sich immer wieder mal so oder so entwickeln. Das ist wie Ebbe und Flut. Aber als Menschen sollten wir immer daran arbeiten, unser Verhältnis zu verbessern. Sie sagen in Bayern: „Leben und leben lassen.“ Nun, genauso sagen es auch wir in Russland. Was wir im Fokus haben sollten sind Zusammenarbeit, gegenseitiges Verständnis und menschliche Sympathie.
– Nach dem Kalten Krieg, Sie haben es angesprochen, gab es einige Jahre lang ein hervorragendes Verhältnis zwischen Russland und Deutschland beziehungsweise Bayern. Warum ist das wieder abgekühlt?
Zinoview: Historisch gesehen bilden Russland und Westeuropa zusammen ein geografisches Europa. Sie sind zwei Hälften der christlichen Welt. Nach dem großen Schisma der Kirche entwickelten sich Osteuropa und Westeuropa nicht in verschiedene, gar entgegengesetzte Richtungen, sondern folgten eher parallelen Kursen. Nach dem Sieg über den Faschismus und dem Ende des Kalten Krieges gab es eine Wiederannäherung dieser beiden Hälften. Doch seit zehn, fünfzehn Jahren erstarken in Westeuropa Kräfte, die nicht den Dialog mit dem neuen Russland fordern, sondern uns die eigene Lebensweise aufzwingen wollen.
– Was genau meinen Sie?
Zinoviev: In Europa wurde nach und nach die amerikanische Konsumkultur zur dominanten Kultur, die ihrerseits als Werkzeug in einem Hybridkrieg eingesetzt wird. Man muss aber akzeptieren, dass Russland ein souveräner, moderner Staat ist. Wir Russen sind bereit, allen Ländern freundschaftlich entgegenzutreten. Wir teilen die Weltanschauung des 21. Jahrhunderts und wir haben das gleiche kulturelle Fundament – denken Sie an die Musik, die Dichter, die Maler.
Logwinow: Es sind diese Bevormundungen, diese Kritik des Westens, die bei den Menschen in Russland so großen Schaden anrichten. Der Westen ist weiß, Russland ist schwarz – das stimmt einfach nicht.
– Aus westlicher Sicht ist es nicht so, dass sich Russland tadellos benimmt – Ukraine, Krim, Syrien.
Zinoviev: Aus russischer Sicht benimmt sich der Westen, insbesondere die USA, nicht tadellos – sehen Sie sich beispielsweise den Irak-Krieg an. Und in der Ukraine habe ich oft das Gefühl, dass – bei allen Problemen – der Westen oft eine sehr arg einseitige Wahrnehmung hat. Wir haben oft ein anderes Bild. Aber wie gesagt: Politisch wird es immer Dinge geben, in denen wir unterschiedlicher Ansicht sein werden. Als Menschen jedoch müssen wir viel mehr gegenseitiges Verständnis anstreben. Wir müssen mit denjenigen gemeinsame Sache machen, die zusammenführen wollen, nicht mit denjenigen, die uns auseinanderbringen wollen.
„Wir sind nicht so einseitig, wie wir dargestellt werden“
Logwinow: Ich glaube, die Menschen in Russland und in Deutschland schätzen sich viel mehr, als das offenbar wird. Die Russen schätzen die Deutschen sehr, sehr, sehr. Für die Taten der Nationalsozialisten waren die Nationalsozialisten verantwortlich. Niemand wirft das heute Deutschland und den Menschen in Deutschland vor. Im russischen Fernsehen liefen gerade Sendungen, die ein wunderbares Bild von Bayern zeichnen, es ging um München und die Landshuter Hochzeit. Das ist die Wahrnehmung in Russland. Wir sind nicht so einseitig, wie wir im Westen oft dargestellt werden. Aber klar ist auch: Die Russen werden nicht so wie die Deutschen. Genauso wenig wie die Bayern jemals Preußen werden.
Zinoviev: Die Beziehungen muss man pflegen. Ich bleibe dabei: Russen und Deutsche sind füreinander bestimmt. Das sollten wir uns nicht nehmen lassen.
Gespräch: Alexander KAIN